Der Lübecker Martensmann war für die Schwerinerinnen und Schweriner in der Frühen Neuzeit ein gern gesehener Gast. „Hey Marten! Musmarten! Penningmarten!“, schallte es alljährlich am 10. November über die Straßen, wenn die mit einem Ohm (145,4 Liter-Fass) Rheinwein beladene Kutsche und der Abgesandte des Lübecker Rates die mecklenburgische Hauptstadt erreichten.
Zwei Tage dauerte die Reise der Lübecker Gesandtschaft, bis Schwerin erreicht war. Auf den Weg dorthin wurde in Schönberg, Rehna und Dragun pausiert, getafelt und genächtigt. Die Vorfreude der wartenden Bevölkerung war an allen Stationen groß. Dies hatte seine Ursache vor allem in den ausgeworfenen Gaben, darunter sich Äpfel, Nüsse, Semmel und kleine Münzen. Hierauf gerichtete Begehrlichkeiten hatten immer wieder handfeste Streitigkeiten, insbesondere bei der Jugend zur Folge. Es kam vereinzelt sogar zu Bedrohungen und Anfeindungen des Martensmanns, dem Knausrigkeit vorgeworfen wurde.
Fass mit Rheinwein im Hof des Schweriner Schlosses übergeben
Im Hof des Schweriner Schlosses übergab der festlich gekleidete Gast das wertvolle Geschenk unter stetiger Beachtung des eigens hierfür gestalteten Zeremoniells. Betont wurde von den Lübeckern, dass die Gabe allein aus nachbarschaftlicher Freundschaft und Wohlwollen erfolge. Darauf entgegnete der Hausvogt des Schweriner Schlosses, dass die Lieferung der Hansestadt aus Schuldigkeit und Pflicht erfolge und noch dazu aus Rheinweinmost und nicht Rheinwein bestehen sollte.
Seit 1805 wurde der jährliche Empfangszeremoniell, in Folge der napoleonischen Kriege, nicht mehr ausgeführt. Der Rheinwein wurde stattdessen ohne Pomp geliefert und im Hofkeller deponiert. Seit dem Jahr 1811 sandte Lübeck schließlich gar keinen Tropfen mehr, da die französische Besatzungsmacht den Lübecker Ratskeller verkauft hatte. Eine Wiederbelebung des alten Brauchs nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft beabsichtigten weder der Herzog noch die Hansestadt. Im gegenseitigen Einvernehmen wurde das Ende des Martensmann-Brauchs im Jahr 1817 besiegelt. – Das vorläufige Ende!
Tradition des Martensmannes lebte 1991 wieder auf
Anlässlich der Schweriner Kulturtage im Sommer 1990 präsentierte das Freilichtmuseum Schwerin-Mueß die aus dem 18. Jahrhundert überlieferte Geldkatze sowie die ursprünglich vor dem Martensmann getragene Laterne in einer Sonderausstellung. Erste Überlegungen zur Wiederaufnahme des Brauches wurden angestellt. Schließlich war es die seinerzeit noch in Ratzeburg ansässige Stiftung Mecklenburg, die den maßgeblichen Anteil an der Wiederbelebung des längst zur Geschichte gewordenen Brauches hatte. Am 10. November 1991, also 186 Jahre nach seiner letzten Fahrt, erreichte eine aus der Hansestadt entsandte Kutsche, diesmal mit einem Fass Rotspon beladen, den Schweriner Marktplatz. Nicht nur die Wiedergeburt einer alten Tradition war damit erreicht, sondern auch eine Demokratisierung des Brauches – denn nun nahm das Fass der Oberbürgermeister bzw. die Oberbürgermeisterin in Empfang.
Das im Jahr 1991 mit Hilfe der Weinhandlung von Melle beschaffte Eichenfass hat ein Fassungsvermögen von „nur“ 100 Litern. Anders als vor zweihundert Jahren ist die heute aus Lübecker Rotspon bestehende Weinlieferung für alle interessierten Bürger von Schönberg, Rehna und Schwerin bestimmt. Da der Durst der Einwohnerinnen und Einwohner offensichtlich groß ist, muss das Fass vor jedem Halt neu befüllt werden.
Brauch Immaterielles Kulturerbe
Im Jahr 2020 wurde der Martensmann-Brauch in das bundesweite Verzeichnis Immaterielles Kulturerbes aufgenommen. In diesem seit dem Jahr 2013 geführten Register sind mittlerweile 120 Formen des lebendigen Kulturerbes aufgenommen worden. Überzeugen Sie sich selbst am 10. November, wenn auf dem Schweriner Marktplatz auf das Wohl der nachbarschaftlichen Freundschaft angestoßen wird.